Nicht jeder, der schreiben kann, sollte es auch tun.
Schreiben können und schreiben können sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Heutzutage hat ja jeder mindestens einen PC nebst Internetzugang. Das verleitet viele dazu, nicht nur irgendwas in ein Textverarbeitungsprogramm zu tippen, sondern, und das ist das Tragische, das Machwerk anschließend unter die Leute bringen zu wollen. Mitsamt brachialem Marketing.
Wie mein Dozent in der Psychologievorlesung schon sagte: Dinge aufzuschreiben, hilft bei vielen Therapien. Super, nur zu! Schreibt ein Tagebuch! Aber doch nichts, was man kaufen soll - für Geld! Nein, früher war nicht alles besser. Aber einfach so „Bücher“ zu veröffentlichen – das war früher ein bisschen schwerer. Und das war auch gut so.
Da fragt in meinem Lieblingsforum eine junge Autorin (1 Veröffentlichung, schon ein Jahr auf dem Markt, Romance, zeitgenössisch, über 600 Seiten – ich bin begeistert! –, tolles Cover, guter Plot – aber leider schlecht geschrieben. Irgendwie ... trocken. Und: erster Kommafehler, Seite 1, Zeile 9. Erster Rechtschreibfehler: Seite 2. Erster Satzfehler: Seite 2. Ich habe schon keine Lust mehr, aber das Buch interessiert mich, also quäle ich mich. Und bleibe an jedem dritten Satz hängen. Auf 600 Seiten gibt es eine Menge Sätze), was denn überhaupt show don’t tell sei, und ob man sich daran halten müsse.
Nö. Muss man nicht. Sollte man aber (dem Roman hätte es gut getan. Ehrlich. Wie schafft man 600 Seiten ohne SdT? Bald weiß ich es. Leider: mit seelenlosen Schilderungen – ausgerechnet von Sex! - einem Haufen schlecht gezeichnetem Personal und jeder Menge unnützer Info. Und Wiederholungen.)
Eine Kollegin mit zehn veröffentlichten Büchern springt in die Bresche: „So ein Quatsch, braucht kein Mensch. Immer diese Regeln.“
Ja, immer diese Regeln. Wenn man Bücher schreibt und zufällig Stephen King heißt, kann man diese vermaledeiten Regeln auch getrost mal knicken.
Huhu, Leute: Es gibt noch mehr Regeln, auf die spätestens der Lektor (dieses Fabelwesen! Oft erwähnt, gern behauptet, selten genutzt. Manchmal ein Phantom. Oder: kommt in Gestalt der Ehefrau / Freundin / Klassenkameradin daher. Die mit der 1 in Deutsch. Kann okay sein ...) euch hätte hinweisen sollen.
Hier eine kleine Zusammenfassung, die selbstverständlich jeder Vollständigkeit entbehrt, aber ich bin ja ein Freund von Serien und Reihen und lade gerne Fortsetzungen nach:
- Show, don’t tell – ist wichtig
- Infodump – unwichtig. Weglassen. Oder sehr, sehr gut verstecken.
- Inquitformeln (= Redeeinleitung): lächelte sie … erbarmte sie sich … fauchte … zischte … donnerte… was ist denn an „sagen“ und „fragen“ verkehrt? Okay, einmal pro Seite ist erlaubt.
- Personen beim Namen nennen: nicht dreimal hintereinander „der Adonis“, „der Makler“, der CEO („brüll“). (Gestern las ich ein Buch an, das alle Synonyme zu „dicker Mann“ durchexerzierte. Leider hatte ich spätestens bei „das Schwergewicht“ vergessen, wie der Typ hieß. Obwohl es sich um die Hauptperson zu handeln schien. Die Hölle. Leider wurde es bis Seite 72 nicht besser, ich habe dann aufgehört.)
- Informiert euch über Spannung – ein Zugunglück in einer halben Seite abzuhandeln, ist … hm, sagen wir: vielleicht nicht angemessen.
- Plotlöcher vermeiden – wo kommt der denn jetzt her? Oder: wo ist die denn jetzt abgeblieben? Und was war noch mal mit der bis ins Detail ausgearbeiteten Kellnerin, die außer in dieser einen Szene nie mehr erwähnt wird? Aber hey, war nicht eben noch Weihnachten? Wieso läuft denen jetzt der Schweiß in Strömen?
- Details. Details sind wichtig und haben nicht mit dem oben erwähnten Infodump zu schaffen. Gut, wenn man das zu unterscheiden weiß.
- Schon Hemingway war der Ansicht: Schreib über das, was du kennst. Ich habe einen Beruf, den ich gut kann und wirklich mag. Davor habe ich meinen Lebensunterhalt als Thekenfrau, als Stewardess und Motorradverkäuferin bestritten. Damit will ich sagen: Wenn jemand über die Polizei schreibt, aber bestenfalls mal bei einer Verkehrskontrolle mit einem echten Cop gesprochen hat, merkt man das.
- Über Hobbys und spezielle Beschäftigungen lasse ich mich nur aus, wenn ich mehr darüber weiß, als mir Google in fünfzehn Minuten vermittelt. Erfahrung: über exotische Orte zu schreiben, die man selbst nicht besucht hat … hm. Dünnes Eis. Google Maps macht nicht alles möglich. Und es gibt immer irgendeinen Leser, der schon mal in Dubai/Paris/New York/ Biberach an der Riss /Daressalam oder Brüsewitz, Kleinklüften oder Wenigenhasungen war.
- Prolog/Epilog: weglassen. Beides. Eine Autorin hat es geschafft, nur einen Epilog zu schreiben…..äh? Dass die beiden Zwillinge sind, hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
- Eine andere macht Prolog 1 und Prolog 2 (einer wirrer als der andere). Gott. Und da gibt es Leute, die Tolkien kritisieren. Für seinen Prolog. Wenigstens hat er nur einen. Wenn er auch lang ist!
- Buchsatz: Auch hierfür gibt es Regeln. Macht euch damit vertraut. Auch wenn es lästig ist und es noch vier Wochen länger dauert, bis ihr erleichtert bei KDP auf den "senden"-Button drücken könnt.
- Selfpublishing ist super, und ich bin dankbar dafür, dass es diese Möglichkeit gibt. Aber es ist immer ein Kompromiss: Man kann nicht alles alleine machen, und man kann nicht jedes "Gewerk" gleich gut. Ich konzentriere mich auf das Schreiben. Dann teile ich der Designerin, deren Arbeiten ich am liebsten sehe, meine Wünsche mit, damit sie mir das schönste Cover macht, dass ich für dieses Buch haben kann. Dann gebe ich das Manuskript dem Lektor und danach der Korrektorin. Für den Buchsatz habe ich dann in der Regel kein Geld mehr. Aber: Ich habe mich, so gut ich kann, damit befasst und meine, es gibt schlechter gesetzte Bücher. Das ist mein Kompromiss, und wer nachher schreit, das hätte er ja schon immer gesagt… sorry for this.
- Cover: bitte nicht selber machen. Bitte, bitte nicht.
- Abkupfern. Bespiel: Zeitreisen in Schottland. Diana Gabaldon würde im Grabe rotieren (sofern sie schon tot wäre, was sie glücklicherweise nicht ist). Oder, mein all-time-favourite: CEO (muhahaha) verliebt sich spargeldünnes Ding mit Rehaugen, aber ohne eigene Meinung (obwohl, zugegeben: Ana bessert sich nach den ersten 1200 Seiten.)
Selfpublishing hat seinen immer noch ein klein wenig schlechteren Ruf aus genau diesem Grund: Weil jeder minderklassige Schreiber veröffentlichen kann, was immer er möchte, unter Beachtung der Grenzen, die die Gesetze schaffen. Ich wünsche, es gäbe mehr Kontrolle.
Das ist es, was Verlage tun (also, neben dem ganzen anderen Zeug): die Verantwortung übernehmen. Dein Manuskript wird (im günstigsten Fall) gelesen, bewertet, geprüft, geändert, angepasst und veröffentlicht.
Ich kenne kaum einen Kollegen, der sich nicht wünscht, in irgendeinem Verlag, sei er auch noch so mini und nichtssagend, unterzukommen.
Bisher habe ich es mit Belletristik nicht versucht. Jeder Verlag, und sei er auch noch so mini und nichtssagend, redet in eure Sachen hinein. Alles andere wäre unlogisch und völlig schräg. Verlage wollen nicht Geld ausgeben, sie wollen welches verdienen und machen sich die Mühe nur, wenn es sich lohnt. Genau wie die meisten Autoren, übrigens (okay, wenigstens so viel, dass es die Kosten deckt).
Mein größter Respekt gilt all denen, die es geschafft haben, ihr Buch mit SP zu veröffentlichen. Es kostet Geld. Es kostet Zeit, und eine unendliche Menge Nerven, die man sich bei einer Abgabe des Manuskripts an einen Verlag natürlich spart. Allerdings rede ich hierbei von einem lesenswerten Buch, nicht von einer 102 Seiten dünnen Abrechnung mit irgendetwas aus der persönlichen Vergangenheit, die einem unbedarften Leser die Bedeutung des Begriffes "fremdschämen" erst richtig nahe bringt, oder einer 86 Seiten starken Wirrniss, die der lesenden Welt gerade noch gefehlt hat. Nach Ansicht des Verfassers, wohlgemerkt.
Wenn es jemandem gelingt, über +300 Seiten eine Geschichte zu erzählen, Storytelling zu betreiben, das den Namen verdient, das ganze dann in eine gefällige Form zu bringen und an einen egal wie großen Leserkreis zu verkaufen, dann ist das eine Riesen-Leistung, ganz unabhängig von Genre oder Sujet. Wenn man dann noch ein paar gut durchwachsene Rezensionen kassiert, ist das ein ziemlicher Hammer.
Viel größeren Erfolg hat man bei manchem (Klein-)Verlag auch nicht.
Für das SP würde ich mir wünschen, dass eine gewisse Standardisierung* herrscht - das nicht mehr alles möglich ist, sondern ein Mindestmaß an inhaltlicher und handwerklicher Qualität existiert. Und ein gewisses Maß an Basiswissen der Autoren darüber, wie manche Dinge beschaffen sein müssen: Ein Roman beginnt ab einer bestimmten Seitenzahl, darunter heißt das Ding "Kurzroman" oder ggf. auch Novelle. Bestimmt Genres folgen bestimmten Regeln. Strukturen, an die man sich hält, bedingen ein angenehmes Leseerlebnis. Fehlerkorrektur ist eine gute Erfindung, und selbstgemachten Covers sollte man das selbstgemachte daran nicht ansehen.
Derjenige, der nur für sich und seine Mama/Tante/Oma schreibt, braucht sich daran natürlich nicht zu halten. Jeder darf schreiben. So viel er will, und was er will. Spannend wird es aber spätestens dann, wenn Leute, die eigentlich nicht schreiben können und eigentlich auch nicht wirklich was zu sagen haben, anfangen, für ihre ...hm... sagen wir mal, speziellen Ideen... Geld zu verlangen und tagtäglich darüber lamentieren, was mit den Leuten nicht stimmt, die ihre Bücher nicht kaufen wollen.
*Ich bitte, das nicht misszuverstehen: Zensur ist nicht gemeint.
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