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36 Grad

A 45, Rastplatz, 39° Grad im Schatten. SUV.  Daneben: heulende, hysterische Menschen. RTW. Polizei. Und ein jüngst verstorbener Hund, unter einer goldglitzernden Rettungsdecke, in Ermangelung von was anderem, weniger angemessenem. Ein Feuerwehrrüstwagen fährt grade weg, die Männer zerren sich die Montur vom Leib, wischen sich über die Stirn, eine junge Frau weint. Über dem Asphalt flirrt die Hitze, jemand bringt betreten eine Flasche Wasser, reicht sie der Hundebesitzerin, die auf dem Bordstein hockt und sich das Make-up durchs Gesicht wischt.
Mitleid? Mit den Leuten? Nä. Hab ich nicht. Sorry. 
Mit dem Hund? Oh ja, und wie. 
Ring frei! Schimpft nur, auf die pietätlose, verständnislose Bullerei, die eh immer zu spät ist und unverschämt auch noch, nur weil man sich mal ein klitzekleines bisschen beim Mittagessen versmalltalkt hat!
Der folgende Artikel ist bereits vom letzten Jahr. In seiner vollständigen Version ist der Text im "Beagle-Geschichten-Buch" zu finden.

Im Sommer werden geparkte, ordnungsgemäß verschlossene Kraftfahrzeuge im Fahrgastraum mitunter unerträglich heiß. Das weiß bestimmt jeder Autofahrer, der schonmal vom Einkaufen zurückkam, die Fahrertür öffnete und augenblicklich den starken Eindruck hatte, in einen Glutofen einsteigen zu müssen: Die Sitze sind knallheiß, Lenkrad und Armaturen kann man mit bloßen Händen kaum berühren, die Wüstenluft, die im Auto steht, versengt einem die Härchen an den Armen. Bei den meisten Menschen hat herumgesprochen, dass Hundehalter ihre Vierbeiner bei solchen Außenbedingungen am besten zuhause lassen. Das Internet und alle Zeitungen sind vollgepackt mit entsprechenden Warnungen, dennoch gibt es immer noch neue Fallbeispiele.Es gibt Leute, die lassen ihre Hunde *kurz* im Auto, während sie *noch schnell* etwas besorgen müssen. Läuft es ungünstig (insbesondere für den Hund), trifft der zurückkehrende Autofahrer später seinen vierbeinigen Kumpel gesundheitlich stark beeinträchtigt oder tot an. In manchen Fällen wartet auch eine mehr oder minder freundliche Streifenwagenbesatzung an dem betreffenden Auto.

 

 

Es gibt Bilder, die man nie vergisst.

Stellen Sie sich bitte vor, Sie sind der Pechvogel, der einen Hund (oder ein Kind?) im 50, 60 oder 70 Grad heißen Auto findet (es gibt eine Reihe gelb-orange-rote Tabellen, die belegen, in welcher Zeit sich ein Autoinnenraum wie stark aufheizt – man glaubt es wirklich kaum) entdeckt. Was machen Sie denn nun? Wissen Sie sofort und ohne Zweifel, wie Sie sich jetzt sinnvoll verhalten?

Keine Sorge, kaum einer weiß das, woher auch. Niemand sollte in so eine Lage geraten. Wollen wir mal überlegen, was es da alles gibt: Wir dürfen nicht ohne weiteres das Auto öffnen. Wir dürfen aber auch nicht zuschauen, wie der Hund (oder: der Mensch) in immer größere Not gerät. Wir müssen also versuchen, die Lage angemessen zu beurteilen.

Wo steht denn das Auto? Im Parkhaus, unterm Dach? Oder ohne jeden Anflug von Schatten mitten auf dem Supermarktparkplatz? Wie warm ist es denn heute überhaupt? 20 Grad? Oder dreißig? Knallt die Sonne vom blauen Himmel oder ist es bewölkt? Sind Fenster auf? Weit genug? Könnte der Innenraum vielleicht auch kühl sein, durch irgendwelche technischen Finessen? Welchen Eindruck machen Kind(er) oder Hund(e), wie verhalten sie sich?  

(...)

Wie erkennt man denn, wie es dem Hund geht? Ersetzen sie doch einfach mal "hechelnden Hund" durch "weinendes Kind". Beschleunigt das Ihre Phantasie? Vermutlich werden Sie sich die Sache eine Weile anschauen, sie beurteilen und dann eine Entscheidung treffen.  Sie müssen sozusagen beurteilen, ob Gefahr im Verzug ist und wie schnell ein sinnvolles Handeln erforderlich ist.

 

Nehmen wir nun mal an, der Hund steuert rapide auf den Kollaps zu. 

 

Bei einem Hund müssen Sie Rückschlüsse aus seinem Verhalten ziehen, was nicht ganz einfach ist. Okay: Die Situation kommt Ihnen komisch vor, der Hund erregt Ihr Mitleid und Ihre Besorgnis, Sie überlegen, was Sie tun können / sollen. Was Sie nicht tun, ist: einfach weggehen.  Weil Ihr Bauchgefühl Sie daran hindert. Schon mal sehr gut! Aber jetzt?

Als erstes: Informieren Sie die Polizei. Nicht enttäuscht sein: Sie werden auch von der Polizei die Entscheidung nicht abgenommen bekommen, was Sie zu tun haben, solange niemand vor Ort ist. Erst die eintreffende Streife wird Sie von der Verantwortung entbinden. Trotzdem: als allererstes – Notruf absetzen (110 oder 112, führt letztlich zum gleichen Ergebnis).

Dann: Holen Sie sich Hilfe. Sprechen Sie andere Passanten an. Stellen Sie einen davon neben das Auto. Gehen Sie an die Information (oder Kasse) im Supermarkt. Zuvor haben Sie ein Foto mit Ihrem Handy gemacht (nicht nur vom Hund und dem, was Sie von außen sehen können, sondern auch vom Kennzeichen, denn das haben Sie in Ihrer Aufregung sonst nach ein paar Metern und etwas Gedankenkarussell vergessen!)

Dies ist keine Rechtsberatung, kein Aufruf zu Straftaten und sicher auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber vielleicht finden Sie eine kleine Hilfestellung, etwas Handlungssicherheit, in den folgenden Zeilen.

 

Also: wovor muss ich denn als Passant Angst haben? Vor dem Unmut des Hundehalters? Vor einer Strafanzeige wegen Sachbeschädigung, nachdem ich mich entschieden habe, eine Autoscheibe einzuschlagen? Vor der Polizei? Davor, für irgendetwas kostenpflichtig gemacht zu werden? 

Was kostet denn eigentlich so eine dämliche Seitenscheibe? Was kostet mich mein Gewissen, das mir dann die ganzen restlichen Sommer meines Lebens Bilder von akut hyperthermischen Tieren vorhält?   

 

Was kostet denn demgegenüber ein Hund, einer, den man so doll lieb hat, dass er bei jedem Trip in die laute, heiße City mitgeschleppt werden muss? 

 

Hunde können ihre Körpertemperatur ab 27 Grad nicht mehr durch Hecheln regulieren. Der Körper überhitzt, das Eiweiß in den Hundeorganen verfestigt sich, Organversagen ist die Folge. Das dann dringend nötige Wasser wird der Bello in seinem Blechgefängnis vermutlich gerade nicht zur Verfügung haben. Er hat Todesangst, die man in den Augen der Hunde leider glasklar erkennt, wenn man sich die Mühe macht.  

Probieren Sie es aus! Setzen Sie sich in einer einfachen Versuchsanordnung in ihr Auto, parken es hübsch in der Sonne, schließen Sie die Fenster (okay, die dürfen Sie den berühmten *Spalt* offen lassen, aber nicht so viel, vielleicht wird das Auto sonst samt Ihrer selbst noch geklaut). Nun warten Sie eine Weile. Vielleicht mal zehn, fünfzehn Minuten. Ach, und wenn's geht, ziehen sie sich vorher noch einen schönen kuscheligen Pulli an!  

 

Wann bricht Ihnen der Schweiß aus?   

Wann bekommen Sie Kopfweh? Wird Ihnen schon schlecht? Schwindelig? Wann wird ihr Mund trocken, und bekommen Sie schon Schluckbeschwerden? Hecheln sie doch ein bisschen, vielleicht hilft's ja. Oder heulen Sie, zu Anfang so laut wie möglich, leiser werden Sie dann schon von allein. Heulen bedeutet, nach dem abtrünnigen Rudel zu rufen. Machen Sie das!

Sie könnten sich auch ein bisschen im Auto bewegen. Springen Sie doch etwas herum, kratzen Sie an allem, was da ist! Oder versetzen Sie sich doch ein bisschen in Panik. Haben Sie Angst? Vielleicht ohnehin schon, weil Sie nicht gern allein sind, aber vor allem, weil Sie sich möglicherweise langsam Sorgen machen, dass Sie aus dieser Nummer nicht mehr lebend rauskommen?  Wie oft tasten Sie nach dem Türgriff?

Sie öffnen nach 10 Minuten patschnass, mit hochrotem Kopf und jagendem Herzen die Tür.   

Und das, obwohl Ihr Körper die wunderbare Fähigkeit hat, zu schwitzen und Sie dank Ihrer kognitiven Fähigkeiten in der Lage sind, entscheiden und danach zu handeln! Ihr Hund kann beides nicht: weder schwitzen noch selbstbestimmt handeln. Er kann nur warten, sich im Auto irgendwie zu verkriechen versuchen, und währenddessen unternimmt er allerhand, um auf sich aufmerksam zu machen. Das tut er vielleicht, indem er bellt, winselt oder an die Scheibe springt. Er ist ihrer Gedankenlosigkeit und Nachlässigkeit ohnmächtig ausgeliefert.

 Ja, es ist Ihr Hund, und bis zu einem gewissen Grad ist es Ihre Entscheidung, was sie ihm zumuten.

Nein, es ist kein Mensch, dessen Leben Sie mit Ihrer Fehlplanung, Ihrer Fehleinschätzung in Gefahr bringen. 

Ja, die zulässige Toleranz ist bei einem einer Gefahr ausgesetzten Kind noch um einiges geringer.    

 

Und nein, ein Hund ist nicht wirklich eine "Sache". Tiere sind, in Ermangelung einer klareren Bezeichnung, einer Sache gleichgestellt. Es gibt einen Unterschied. Es gibt nur leider im Strafgesetzbuch nicht immer die verständlichsten Begriffe.  Weil es einen Unterschied gibt, werden Tiere durch besondere Vorschriften geschützt (vergl. § 90a BGB), nämlich das Tierschutzgesetz.

Es gibt gewisse moralische, ethische Grenzen, innerhalb derer sich die meisten Menschen – zum Glück – bewegen. Da stößt es auf wenig Verständnis, wenn man Schusseligkeit, eine Stunde mit der einem zufällig über die Füße gelaufenen Freundin im Eiscafé (huch!) oder dieses fürchterliche Anstehen an der Umkleidekabine in den Läden mit dem "&" in der Mitte oder ähnliches als Rechtfertigung für einen infusionierten Hund mit bleibenden Schäden anführt. Verfahren Sie dafür gern mit dem Rest Ihres Besitztums, wie immer Sie möchten.


 

(...)

Woher ich das alles so genau weiß?    

Jahr für Jahr fürchten Leute wie ich solche Sommertage, sie müssen gar nicht mal über 30 oder 35 Grad haben, um katastrophal zu sein. Jedes Jahr stirbt uns mindestens ein Hund unter den Händen weg. 2019 war es schon im April über mehrere Tage fürchterlich heiß.  Es war ein zartbitterfarbener, acht Monate alter Labrador, um genau zu sein. Namens Schoko. Schreien möchte man.

Ich gehöre zu denen, die am Ende immer das Gejammer beider Seiten ertragen müssen: Die einen, die zwanzig Minuten den sterbenden Hund zu beobachten gezwungen sind, weil sie, zur Untätigkeit verdammt!!, warten müssen.

Und die anderen: Die dann fassungslos die Einkäufe fallen lassen und heulend neben dem teuren Herzenstier auf dem heißen Asphalt zu Boden sinken. "Ich war aber wirklich nur zehn Minuten weg!"   

Gegen Ende der Veranstaltung kommt es meist zu Aggressionen, seltsamerweise oftmals zuerst durch den Hundebesitzer (und am häufigsten dann, wenn es durch korrekt angewandte Erste Hilfe am Hund grade noch mal mit knapper Not gereicht hat).    

Man hört dann Dinge wie:     

 

"Das ist schließlich mein Hund, was geht Sie das denn an?" (Entschuldigung, es versaut mir halt irgendwie den Tag, wenn der Hund hier vor meinen Augen und Ohren eingeht) oder: "Dem macht die Hitze nichts aus!"  Na, dann aber Glückwunsch zum genetischen Hauptgewinn!

(...)

 

 

Und wenn ich noch weitere 20 Jahre in dem Beruf arbeiten müsste (was nicht der Fall ist), eines werde ich niemals verstehen: dass Menschen, die sich erkennbar falsch verhalten haben – die sogar andere zu Schaden gebracht haben (und sei es einen Hund), nicht einfach EINmal ganz kleine Brötchen backen können;  nicht EINmal einfach den Rand halten können,  sich nicht einfach mal entschuldigen können. Und wie wäre es einfach mal mit einem "Danke, dass Sie meinem Hund geholfen haben" statt "Ich zeig den an, das Auto ist so gut wie neu!" 

 

  Was passiert aber denn nun, wenn ich den Hund im Auto kollabieren sehe und beherzt die Scheibe einschlage?   

 

Und was passiert dem Hundehalter, der seinen Hund der Qual ausgesetzt hat?  

 

"Ein Blick ins Gesetz erspart das Geschwätz" ist ein beliebter Spruch bei den Juristen und erst recht bei der Polizei.  Schau'n wir mal:  

Der Passant läuft über den Parkplatz und hört/sieht den eingesperrten Hund. Das Auto steht in der prallen Sonne. Der Passant sorgfältig ab: Sind die Scheiben zu oder geöffnet? Wie sieht der Hund denn aus? Stress bei Hunden erkennt man am Gesicht. Also: Gestresst oder ruhig? Hängende Zunge? Kläfft er den Passanten an? Verteidigt er sein Territorium? Oder versucht er, sich zu befreien? Liegt er auf dem Sitz und schläft womöglich ruhig, oder wartet er entspannt? Oder liegt er im Fußraum, hechelt mit gestrecktem Hals? Ist er noch in Panik oder schon fasst bewusstlos? Sitzt er vielleicht sogar in einer Box oder hängt am Kurzführer (beides würde die Lage verschlimmern, es sei denn - was es auch gibt! - Box oder Wageninneres haben eine Klimaeinrichtung. Das erkennen Sie aber am Verhalten des Hundes!)  

Der Passant beurteilt also die Lage. Sieht sich um und wartet noch einen Moment. Vielleicht geht er noch irgendwo hin und lässt den Halter des Wagens ausrufen (oder schickt idealerweise jemand anderen, der zufällig vorbeikommt). Der Passant zückt sein Smartphone und macht einige Fotos, ruft er die Polizei an. Inzwischen werden sich andere Passanten hinzugesellt haben.  

(Diese Liste klingt endlos, aber glauben Sie mir, Sie haben das alles in Sekunden abgecheckt.)

Nutzen Sie die Öffentlichkeit! Notieren Sie sich Namen und Telefonnummer Ihrer Mitstreiter, machen Sie Fotos oder Videos mit dem Handy. Dokumentieren Sie unbedingt die Uhrzeit = Wartezeit. Notieren Sie Fahrzeugtyp, Farbe, Kennzeichen, Zustand, Zeit, Ort, und am besten noch die Temperatur. Notieren Sie Besonderheiten: beschlagene Scheiben, zerkratzte Polster. Es hat Hunde gegeben, die Autositze in Wolken von Schaumstoff und Inventar in Kunststoffkonfetti verwandelt haben, solange sie es noch konnten.   

 (...)

Die Info an die zuständigen Behörden entbindet Sie nicht vom Helfen bzw. Handeln.

Korrigieren Sie notfalls Ihre Einschätzung. Während Sie warten, lassen Sie Ihre Helfer Wasser und (nasse) Handtücher organisieren. Geht es dem Hund erkennbar schlecht, möge die Polizei einen Tierarzt benachrichtigen. 

Handeln heißt nun: Schauen Sie nach, ob das Auto überhaupt verschlossen ist. Falls ja, und falls es Ihnen nicht gelingt, ausreichend schnell Hilfe oder den Besitzer hinzuzuholen, die Alarmanlage des Autos zu aktivieren (der Halter wäre bestimmt in nullkommanix da), oder sich eine neue Idee ergibt, schlagen Sie die Scheibe ein (denn zu warten, bis der Hund ex ist, wäre ebenfalls nicht gesetzeskonform – Stichwort: Güterabwägung).  Aber bitte nicht die Front- oder Heckscheibe, dies wäre ein nicht gerechtfertigter Exzess. Sie behalten also die Nerven und schlagen die SEITENscheibe ein, vorzugsweise noch eine der hinteren. Möglicherweise gelingt es nun, eine Tür des Fahrzeuges zu öffnen. Kleine Hunde kann man durch das zerstörte Fenster vielleicht herausheben. Achtung: verletzen Sie möglichst weder sich noch den Ihnen fremden Hund. 

 

Diese Aufzählung naturgemäß stark einzelfallabhängig und daher unvollständig, aber: Not macht erfinderisch! Und bitte: immer alles dokumentieren!   (...)  Deshalb sind Zeugen wichtig. 

 

 

Den Rest dieses Textes finden Sie im Buch. Wenn irgendwelche Fragen bestehen (die Beurteilung ist bis hierher noch nicht abschließend!): schreiben Sie mir. 

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