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Von Frauen für Frauen

Haben Sie sich schon mal überlegt, welche Straftaten in Romanen verwirklicht werden?

 

Verbrechenstatbestände zu thematisieren, ist im Krimi Usus: meistens handelt es sich um Mord, gelegentlich Totschlag – gängige Verbrechen, ohne die kein Krimi Sinn ergibt, oder lesen Sie Krimis über Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Diebstahl?

(Kurzer Einwurf vom Erklärbär: bei den letzteren handelt es sich um Vergehen. Der Unterschied zwischen Vergehen und Verbrechen ist bitte bei Google nachzulesen, falls Sie’s nicht wissen).

 

Besonders fieser Mord (die Dinge, die in Deutschland zu Sicherungsverwahrung führen) ist was für Thriller. In einem Thriller, der auf sich hält, darf es gern auch um mehr gehen: Körperverletzung aller Art, Freiheitsberaubung, Vergewaltigung, Menschenraub und -handel, Nötigung, Raub mit und ohne Todesfolge, Erpressung, Stalking, Entführung, Attentat, Anschläge, Völkermord, den Weltfrieden.

Im Krimi und Thriller erwartet man sowas ja, zumindest rechnet man damit. Auch wenn „Horror“, „Splatter“ etc. auf dem Regalbrett steht und das Buch ein mehr oder weniger rot-weiß-schwarzes Cover hat, weiß man, was los ist. Es gibt ein paar Autoren auf der Welt, die damit viel Geld verdienen. Warum? Weil die Bücher gut sind und viele Menschen diese Bücher lesen wollen.

 

Nun scheinen aber ein paar Autorinnen (doch, es sind fast nur Frauen) zu existieren, die diese Straftaten in romantische Geschichten verpacken und denken, das wäre gut so und richtig, womöglich sogar einer Norm entsprechend.  Zu meinem großen Erstaunen finden solche Texte bei den, sagen wir mal, nicht in jeder Situation des Lebens allzu differenziert denkenden Frauen, wahnsinnig tollen Anklang.

Ich weiß bloß nicht, was das für Frauen sind.  Manchen stehe ich mit völligen Unverständnis gegenüber.  Sie mir allerdings auch. Wenn ich ein Hund wäre,  wäre ich eine Rüdin.

Viele dieser Frauen behaupten, feministisch zu denken. Einige haben Posts auf ihrem Feed, in denen es um Depressionen, Mobbing und Schlimmeres geht, das nicht unbedingt auf ausschließlich sonnige Erfahrungen hindeutet. 

 

Ab da gerate ich in Grübeleien schwerster Sorte.

 

Kürzlich hatte ich im Lektorat einen Text vor mir, der mit „Mafiaromance“ übertitelt war. Ich las erst darüber hinweg (Autoren machen die wildesten Sachen, wenn sie ihr Genre nicht klassifizieren können oder wollen), kehrte aber immer wieder zu dem Begriff zurück, und dann, beim Klappentext, hatte ich dann endlich kapiert, was mich so störte. 

 

„Mafiaromance“ ist ein Oxymoron, ein zusammengesetzter Begriff, der aus zwei sich widersprechenden Begriffen besteht (Beispiel: Hassliebe, bittersüß).

 „Mafiaromance“ ist eigentlich kein Genre für sich und lässt sich in verschiedene Genre-Schubladen einordnen, zumeist dürfte es sich um Romantic Thrill handeln, eines der anderen Subgenre (Erotic Thrill, BSDM Romance, Romantic Suspense, Erotic Romantic Suspense...) geht auch. behandelt eine Liebesgeschichte im Umfeld organisierten Verbrechens, landläufig gern als „Mafia“ betextet. 

Kriminalität hat für mich generell eher wenig mit Freude und Liebe zu tun, aber wer weiß, wahrscheinlich raffe ich als deutsche Beamtin wieder die Connection nicht, und vielleicht hatte ich in meinem (Berufs-)Leben auch nicht mit den ganz coolen der anderen Seite zu tun, aber "Mafia" und "Romance" ist etwas, das in meinem Kopf einfach nicht zusammengeht. 

 

 So.

 

Wir reden über Fiktion.

 Ich hoffe es jedenfalls. Fiktion ist das, was sich ein Autor in seinem Kopf zusammenreimt und in eine lesbare Form bringt. Klasse finde ich, wenn jemand allem etwas Gutes abgewinnen kann. Wenn jemand wirklich romantisch schreiben und Sex in eine tolle, lesbare Form gießt, die Spaß macht. Das wertet jedes Genre auf und macht Bücher zu Erfolgen, davor habe ich Respekt.

 

Bei Mafiaromance verhält es sich so, dass eine nette junge Frau (eine nette, junge, sexy, bildschöne Frau) sich in einen Typen verknallt, der irgendwie im Mafiaumfeld rumspringt/tätig ist. Gerne handelt es sich um einen durchsetzungsfähigen, entschlossenen Mann (einen durchsetzungsfähigen, entschlossenen, sexy, gutaussehenden, muskulösen Mann), der nicht zwingend jung sein muss, sich aber mit Waffen und Gewalt aller Art auszukennen hat, denn ansonsten würde er in seinem Fachbereich nicht allzu lange den Kopf über Wasser halten können, und das ist wörtlich gemeint.

 

Ich bin ja schon froh, wenn sich jemand nach dem Strafmaß erkundigt, beispielsweise für Vergewaltigung. Meistens wird die Tat trotzdem nicht gesühnt, sondern belohnt: das Mädel lässt sich flachlegen gibt sich dem Mafiosi hin, erfährt erstaunliche Dinge über ihren und seinen Körper und findet alles toll, was er macht (oder läutert und rehabilitiert ihn, und er wird ein prima Familienvater, weil er im tiefsten Innern zärtlich und romantisch ist).

 

  

Ich lade mir ein paar Leseproben auf den Kindle, und frage mich: Was ist das nur für ein Ding mit diesen Straftätern? Kann ein Mann nur dann als adäquates LoveInterest gelten, wenn er ordentlich was auf dem Kerbholz hat? Macht ein vorhandenes KA-Profil sexy? 

 

Antwort: bei einem bestimmten Typ Frau – ja. Falls die Leserinnen solche Hohlbirnen Frauen sind, wundert es mich nicht, dass ich im meinem Hauptberuf so viel zu tun habe. Im Moment scheinen mafiöse Strukturen recht interessant zu sein.  Darüber kann auch nur jemand schreiben, der mit Bandenkriminalität und ihren Vertretern noch nie etwas zu tun hatte. Genau so liest es sich dann auch: naiv.

Bei dem oben erwähnten geht es um Verbrechenstatbestände. Vielleicht entspricht es dem Zeitgeist, damit ein bisschen zu kokettieren, aber diese Sachen nicht: ein Witz. 

Mafia (und ähnliche Organisationen) bedeutet: Bandenkriminaliät, organisiertes Verbrechen, oft Menschenhandel, Gewalt, Drogen, Waffen, Sanktionen, manchmal Terror. Gibt's in jeder größeren Stadt, in mehr oder minder deutlicheren Ausprägung und zusammengesetzt aus unterschiedlichen Kulturen und Herkunftsländern. 

An organisierter Kriminalität, wie eigentlich auch überhaupt an Kriminalität, ist wenig bis nichts Romantisches, aber gerade junge Mädchen und Frauen finden Außenseiter toll, und das ist der Casus Knacktus an der Sache: jemand lehnt sich auf.  Aber welche Frau findet es okay, wenn jemand "verschlagen" lacht oder sie "verächtlich" ansieht? Welche Frau läßt sich permament "Kleines"** nennen und haut dem Macker daraufhin keine rein? Warum legen Frauen Wert darauf, dass man von ihnen Besitz*** ergreift? Und daraus sollen glaubwürdige Liebesgeschichten entstehen? Okaaaayyy...

 

Es geht eigentlich auch gar nicht explizit* um die Mafia (es ist wohl klar, dass sich dazu besser was zusammenfantasieren lässt als Recherche zu betreiben) als um eine zutiefst patriarchalische, von Machismo geprägte Gesellschaft, wobie man Mafia gern mit Bad Boy-Strukturen aller Art gleichsetzen kann, und alle sind Klischees: Rocker, Piraten, BSDM-Heiopeis. Die Frauen  in diesen Welten haben eine bestimmten Stellenwert und erfüllen häufig einen bestimmten Zweck: ja, genau den.

 

 Je behüteter, je langweiliger gleichmäßiger das eigene Leben, umso blutrünstiger darf der Roman sein. Und desto lieber gibt man mal gern ein bisschen an: Hells Angels! Wow! Sind im Herzen auch nur liebebdürftige Jungs, klar. Und wie wertet es eine Durchschnittsfrau (oder auch eine Streetfighterin) auf, so einen "gezähmt" zu haben!

 

Das erklärt manches. (Übrigens auch, wieso besonders Frauen in Internetforen so richtig abgehen, wenn's was zu bekunden gibt.)

 

Da es sich um Fiction handelt, haben diese Stories so gut wie immer ein Happy End. Im echten Leben sieht die Kombi Mafiaangehöriger/dusselige Frau meist anders aus: Stalking-Opfer, Drogentussi, Prostitution, Misshandlung, Leiche. Klar, will keiner wissen und auch keiner lesen, gibt’s jeden Tag.  Deswegen kriegt das Mädchen am Ende den Ehering an den Finger und der Typ ist schwer verliebt. Wahrscheinlich gibt er sogar seine serienkriminelle Karriere auf, weil sie ihn bekehrt hat. Im echten Leben kommt irgendwann das SEK und nimmt ihn mit, manchmal sogar an einem Stück.

 

Fazit: Männer mit solchen Bauchmuskeln wollen in den seltensten Fällen Frauen fürs Leben. „Aber träumen darf man ja wohl!“, schallt es mir entgegen. Träumen! Sicher, sicher. Wer als Frau, die was auf sich hält, von solchen Polizeibericht-Fressen (auch wenn sie hübsch sind: mugphoto ist mugphoto) träumt, denen ist sowieso nicht zu helfen. Ach so, der Junge ist zu Unrecht verdächtig / undercover / hatte eine schwere Kindheit / braucht nur die richtige Frau.

 

Ja, klar.

 

Da ich mich mit allem gern vertraut mache, informiere ich mich umgehend über die Autoren: Alter (meist unter 30), bisherige Werke, Schreiberfahrung (ist umfassend! meistens „von Kindesbeinen an“), Rezis (meist 12-20, irgendwie gleichlautend, und kurz).

 

 

Okay. Ich fange mal mit sieben steilen Thesen an:

 

  1. Je ereignisloser das eigene Leben, die eigene Biografie oder der eigene Alltag, desto freakiger, blutiger, sadistischer und gewalttätiger das Buch (gern das eigene, weil: man schreibt ja gern das, was man lesen möchte. Puh.)
  2. Je unerfüllter die eigenen Wünsche und Fantasien, desto ausgefallener der Sex (im Buch).
  3. Je treuer und braver der Mann neben einem im eigenen Bett, desto wilder der Protagonist im Buch. Oder wieso schreibt kaum jemand über Versicherungskaufleute, die nicht Superman sind?
  4. Je abgefahrener die Handlung und je eindeutiger die Wortwahl, desto verzichtbarer Lektorat/Korrektorat. Diese Klientel schert sich nicht darum, wie ausgefeilt eure Grammatik ist.
  5. Je mehr Rockstars, Elitekämpfer, CEOs, Rocker und Mafiabosse, desto weniger intelligent und altersmäßig fortgeschritten das Publikum. Es ist übrigens wissenschaftlich erwiesen, dass die Gehirnentwicklung erst jenseits von Mitte 20 abgeschlossen ist.
  6. Je definierter das Sixpack auf dem Titel (manchmal sieht es eher aus wie eine körperliche Behinderung), desto unwichtiger der Plot und desto vorhersehbarer die Geschichte.
  7. Je greller die Farben und je mehr Kosmetikprodukte und Handtäschchen auf dem Titel, desto mehr wird gelästert. Wer stellt sich Bücher in Mintgrün und Pink ins Wohnzimmer? Eben. Das erklärt den Erfolg von E-Books.

 

 

Wer bis hierhin noch mitliest: Ich frage mich immer, wie wütend diese Frauen sind. Und auf wen. Auf sich? Auf den Kerl, der ihnen das angetan hat? Oder auf ihre Machtlosigkeit?

 

Ich habe oft das Gefühl, dass diese Autoren sich nicht vorstellen können, wie es Menschen geht, die wirklich Angst haben. Wie es ist, in Todesangst zu sein. Wie sich Menschen verhalten, denen Gewalt angetan wurde, oder was passiert, wenn jemand schwer verletzt ist. Wie man sich fühlt, wenn man zerschlagen irgendwo liegt. Wie es sich anfühlt, überhaupt geschlagen zu werden oder einfach missachtet, abgewertet zu werden. Wie es sich anfühlt, der Beweissicherungsprozedur unterzogen zu werden. Wie viele Frauen, denen Gewalt angetan wurde, diese Autorinnen wohl schon gesehen haben? Okay, nun muss man keinen Mord begehen, um einen Krimi zu schreiben. Man muss auch nicht vergewaltigt haben (oder vergewaltigt worden sein), um eine Vergewaltigung zu beschreiben (die meisten vergewaltigten Frauen würde es auch nicht tun).

Wenn Frauen, denen Gewalt angetan wurde, gern solche Bücher lesen, um daran zu wachsen, dass die Protagonistin gewinnt, siegt über diejenigen, die ihr eigentlich überlegen sind, dann okay. Wachst. Heilt. 

 

 

Aus einem Klappentext: „X behandelt Frauen wie Dreck. Nie hat der MMA-Kämpfer und Geldeintreiber Liebe kennengelernt, nie wahre Zärtlichkeit erfahren. (…) Y öffnet ihm die Augen und zeigt ihm, was Liebe ist.“

 

Ja, klar. X hat nämlich ein weiches Herz und wartet bei all seinen Auftragsmorden im Grunde nur darauf, mit der schönen, jungen (!) Geliebten Y über vom Tau benetzten Rasen zu schweben, natürlich, nachdem er, der ein echter Kracher im Bett ist, ihr beim ersten Sex multiple Orgasmen beschert hat und sie hingerissen weint, weil er so rau und doch so zart unter seiner Betonschale ist.

(In anderen Klappentexten  bringen kreative Autorinnen - es sind fast immer Autorinnen! -  Begriffe wie verschleppt, geschändet, gequält und verliebt in einem Satz. Was ist mit jungen Frauen los, denen sich da nicht der Ekel auf dem Gesicht malt? Sie versprechen sich einen besonderen Kick. Ja, puh, sag ich da, Glückwunsch. Auch zum Bildungslevel.)

 

 

Auf meinem Tisch stapeln sich Manuskripte mit Bad Boys zu wahren Haufen, d.h., sie würde es, aber sie existieren ja zum Glück nur virtuell. Es kommen jede Woche neue (okay, die Plots ähneln sich schon sehr. Nichts neues unter der Sonne, besonders nicht in diesen Genres). Ich weiß nicht, was die Faszination davon ist.

Wie geht es weiter, nachdem die Liebe alles ändert? Hört Bad-sein dann auf? Wird das Vorstrafenregister gestrichen? Wechselt der den Job? Entlässt ihn der Mafia-Boss mit einer guten Empfehlung für einen Sparkassen-nine-to-five? Wie oberflächlich ist dieser Kodex, den die da haben? Und was ist für euch eigentlich harter Sex? Alles, was von der üblichen Nummer abweicht, oder das, was Khal Drogo da zu Anfang praktiziert? Könntet ihr euch das live und in Farbe an/in eurem eigenen Körper vorstellen? Ja? Und da heult ihr nicht? Respekt. Oder ist für euch das Getue von Christian Gray das Nonplusultra an Härte? Och, Leute.

 

Macht macht hartherzig, meist sogar unbarmherzig, aber die Kerle verknallen sich und, vor allem, sie ändern sich. Lassen alles fallen für das Mädel, auch wenn kein Mensch mit Verstand wirklich begrieft, warum (auch Topmodels sind erst mal nur Frauen).

 

Im wahren Leben würde der Typ gar nicht lange genug überleben, um zu raffen, dass sich die Sache für ihn erledigt hat, noch bevor er „bürgerlich werden“ zu Ende gedacht hat.

Obacht bei der Partnerwahl! Erschwerend kommt hinzu, dass Männer in diesen Kreisen nur in den seltensten Fällen schön sind, geschweige denn sexy oder irgendwie charmant. Wer so einen Hochleistungsknaller mal festgenommen hat, versteht vielleicht, wovon ich rede. Attraktiv sind die meisten Männer a) nur solange, bis sie den Mund aufmachen und b) nur solange, bis man ihnen gesagt hat, was sie zu tun und zu lassen haben.

Sie haben auch selten ein weiches Herz (häufiger jedoch eine weiche Birne). Durchtrainiert und tätowiert von oben bis unten  sind sie fast immer, und auch die im Knast haben wahnsinnig spektakuläre Muskeln. Wenn es also das ist, was einen Kandidaten ausreichend toll macht…

 

Was glauben Sie, wie die 22jährige Muslima sich fühlt, mit ihrem frisch angetrauten Obermacho an der Backe, der ihr gnadenlos sagt, wo es langgeht und jedes Fehlverhalten sanktioniert? Sowas wollt ihr? Warum ist die Empörung bei Tatsachenberichten so groß, der Feminismus so glühend, doch sobald es um Fiktion geht, ist das alles Makulatur?

 

Ach so, da gibt es einen Unterschied. Das mit den coolen Covern und Klappentexten ist zu eurer Unterhaltung. Klar, bitte, ich will auch nicht, dass ich jetzt jemand wegen seiner Lesevorlieben schlecht fühlt. Wat dem einen sing Uhl, ist dem andern sing Nachtigall.

  

Unterscheiden muss man zwischen eigenem Erleben (in Richtung Biografie) oder "Wunschvorstellungen". Wie viele junge Mädchen fantasieren davon, den harten Kerl zu retten! In einem gewissen Entwicklungszustand ist es völlig normal, das, was man nicht haben kann, am erstrebenswertesten zu finden. Was ein richtiges Rebellenmädchen ist, das verguckt sich eben in den Drogendealer mit dem intensiven Blick, und weil er nach Sandelholz riecht, hat er natürlich auch eine weiche Seite.

 

So wenig, wie eine 16jährige Sandelholz erkennt (abgesehen davon, dass Sandelholz in jedem zweiten Roman favorisiert wird), genau so wenig ist diese Rettungsmission von Erfolg gekrönt. Aber versuchen kann man’s ja. Reicher an unschönen Erfahrungen ist man hinterher gewiss, doch im Buch gibt es ein Happy End. Was für Persönlichkeiten sind das? Glaubt ihr wirklich, dass man schwer gestörte Menschen mit grauenhafter Kindheit mit nichts als Liebe wieder zurechttherapieren kann?

Ich sperre mich gegen solche Strickmuster, sorry. 20jährige Collegeboys sind keine hochresilienten, zigfach geschulten Spezialkräfte, auch wenn sie gern düstere Neigungen haben können, und Küchentischpsychologie ist gefährlich.

 

BDSM hatte jahrzehntelang seinen Platz, und die Leute, die darauf standen, fanden es gut so. Dann wurde eine weichgespülte Art sexueller Gewalt in Millionen-, Milliardensellern glorifiziert. Das traf einen Nerv, aber es hörte nicht mehr auf. Warum nicken die Leute das ab? Und jetzt mal die Hand heben: Wer ohne sm-historischen Hintergrund möchte wirklich geschlagen werden? Ich meine: geschlagen werden. Würden die sich doch bitte mit den Kerlen zusammentun, die ich wegen Häuslicher Gewalt vernehmen muss. Wieso wollen deren Frauen das denn nicht?

 

Dieses kokettieren mit dem Bösen gibt es, seit es Literatur gibt. Früher fanden die Ladys düstere Soziopathen wie Heathcliffe toll, noch früher fiel man seufzend in Ohnmacht, wenn Mephisto auf der Bühne erschien.  Bösewichte sind nun mal interessanter. Ich habe auch schon immer die Rhett Butlers dieser Welt favorisiert. Aber das ist nicht der Punkt. Wenn jemand BDSM lebt und darüber schreibt, ist das für mich okay. Wenn jemand gewisse Vorlieben hat und darüber schreibt, weil er es kann, ist das für mich okay. 

Wenn junge Frauen sich irgendwas zusammenfantasieren, wie ein OK-Prinz sein könnte, würde er nur die Liebe dieser 19jährigen erringen, und wenn diese junge Frau null Ahnung hat, was in der Welt los ist - dann ist das für mich nicht okay. Es gibt Frauen, die besessen werden wollen. Es gibt noch mehr Männer, die Frauen/Menschen per se als Besitz betrachten. Man beachte den feinen Grat zwischen wollen und überzeugt werden (zwischen Wollen und Müssen bzw. Zwang ist kein Grat, sondern ein Graben, nein, ein Ozean mit Haien und Ungeheuern).

 

Leserinnen, die sich an Mafiaromance und ähnlichem delektieren können, sind privilegiert. Sie sind offenbar behütet und sicher genug, um sich ein wenig zu gruseln. Im echten Leben würden sie schreiend vor solchem Abschaum davonlaufen, jedenfalls hoffe ich das.

  

Grobheit bis zur Vergewaltigung ist nicht okay. 

 

Bad Boys sind nicht die wahren Helden.

 

Je mehr Drogen, desto toll. Nicht.

 

Stalking ist cool. Nicht.

 

Toxische Beziehungen sind Normalität und nicht nur das, nur die sind spannend. Nicht.

 

Mafiabosse und gestörte CEOs sind erstrebenswerte Lebenspartner. Nicht.

 

Doof sein und ja sagen ist toll. Nicht.

 

 Ich wünsche mir die Potenzierung des Strafmaßes wie in den USA. Wirklich, das tu ich. Vielleicht wären Strafen dann auch bei uns wenigstens angemessen, wenn schon nicht gerecht.

 

Kleiner Exkurs über Ethik: Bücher über Gewalt an Frauen zu lesen ist so ähnlich, wie wenn in bestimmten Ländern WM ist: da fährt man nicht hin.

Man gafft nicht bei Verkehrsunfällen und beleidigt keine Polizisten, und  übrigens greift man auch keine Rettungssanitäter an (was ist hier eigentlich los?!).

Man kauft keine Billigwelpen und fährt nicht bekifft Auto (übrigens auch nicht betrunken).  

Man klaut Omas keine Handtaschen und wählt nicht die AFD.

Man hat nicht immer recht, und wenn man einen Fehler gemacht hat, entschuldigt man sich bitteschön. Bringt euren Kindern das bei! Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Warum? Weil es um Menschenwürde geht, um Frauenwürde, um genau die Würde, die in me-too-Debatten bis zum Abwinken thematisiert wird, in Mobbing-Foren diskutiert wird, in schwesterlichen no-sexism-Sprüchen hochgehalten wird.

Und dann kommt so ein stahlbrüstiger, weichherziger Mafiosi mit sanften Augen und wirft alles über den Haufen.

 

 Ich steh auf authentische Geschichten und auf authentisches Schreiben.  Ein Mann, der sich über den Willen einer Frau hinwegsetzt, könnte niemals mein Held sein. Niemand, der alle Sinne beisammen hat, träumt von einem Kerl, der sich seine Frauen gefügig macht. Fiktion und echtes Leben sind zwei unterschiedliche Ebenen, das ist mir schon klar.

Aber mir macht diese Diskrepanz zu viel Mühe. 

 

 

©megmcgary 04/2021 

  

*Vorsicht ist geboten, wenn das arg strapazierte Wörtchen "explizit" irgendwo auftaucht: "explizite Szenen" = Sex, Gewalt, am besten noch geschmückt mit einer der beliebten "Triggerwarnungen" und dem unnützen Geplänkel: "alle/alles frei erfunden, jedwede Ähnlichkeit...blablabla..."

Muhahaha. Heißt übersetzt: Hier gibt jemand gnadenlos an. Und in Büchern, bei denen im Klappentext schon "Sex" erwähnt ist, ist häufig Porno drin.

** "Kleines" genannt zu werden, finden nach meiner Erfahrung besonders die ganz jungen, ganz unbedarften Frauen gut. 

*** Auch das könnte mit einer gewissen Lebensreife zusammenhängen.. Sagen Sie mal einer modernen Frau Mitte vierzig, dass sie dies oder jenes gefälligst zu lassen hat. Muhahaha.

 

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