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Megan mäht

 

"Wenn du die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens suchst, dann fragt die Menschen, die das Gras schneiden." (Chinesisches Sprichwort)

 

Tja, die Chinesen. Haben immer einen guten Spruch.

   Wir besitzen ein Haus, ein riesiges Grundstück und diverse Dinge. Fünf davon sind Gerätschaften, die dafür konstruiert wurden, Grünzeug aller Art in Schach zu halten.  Das Land, das das Haus umgibt, ist eher eine Land-Plage, obwohl Besucher immer andächtig davorstehen und "ihr habt es aber schön" schmachten. Makler würden unseren Grund und Boden mit „anspruchsvolle Hanglage“ beschreiben. Dieser freundliche Terminus steht für eine grüne Hölle, viel Wiese, wildwachsendes Buschwerk und achtzig Meter Hecke, Buche und Berberitze. Letztere ist reines Teufelszeug, aber das tut hier nichts zur Sache.  

 

Unser Rasenmäherbestand beinhaltet ein vierzig Kilogramm schweres, mit Benzin betriebenes Monstrum, das dazu verwendet wird, den oberen Teil unseres Grundstücks in einen einigermaßen gepflegten Zustand zu versetzen (für den unteren Teil verwenden wir einen akkubetriebenen Rasenmäher, der zwölf Kilo leichter ist. Andere Geschichte. Und wenn Sie sich jetzt die berechtigte Frage stellen sollten, warum zur Hölle das schwerere Gerät für das schwierigere Gelände verwendet wird: Das grazile Leichtgewicht müsste beim Mähmarathon drei Mal aufgeladen werden.)

In einer der seltenen Zeitspannen, in denen alles gemäht ist, kehrt ein Hauch von Normalität bei uns ein. 

Leider überwiegt die Anarchie der Natur. Wenn es im Sommer regnet, kann ich von meinem Küchenfenster aus dem Gras beim Wachsen zusehen, und wenn man die Ohren spitzt, kann man es sogar hören: Ich schwöre, es lacht.

Im Mai, ziemlich exakt nach den Eisheiligen, geht es los. Während der nördliche Nachbar schon Bonusmeilen auf seinem coolen Rasentraktor gesammelt hat (auch er lacht, da bin ich sicher) und der südliche Nachbar auf den Knien liegt und die Kanten seines golftauglichen Grüns per Hand frisiert, kämpfe ich mit mir und schwöre, im nächsten Jahr einfach alles dem Wildwuchs zu überlassen. Leider steht die Ortssatzung dagegen. Und meine Mutter. 

 

Gut.

Zunächst ist der ordnungsgemäße Zustand des Gerätes zu überprüfen: Zündkerzen – Check. Messer sauber – Check. Tank voll? Oh. Vor das Mähvergnügen hat der liebe Gott den Kauf von fünf Litern Super gesetzt.

An der Tankstelle bekomme ich den ersten Rumpelstilzchen-Anfall: Der Kanister läuft über (natürlich) und die edle Karosse stinkt nicht mehr nur nach Hund, sondern auch nach Sprit. Gut, dass bei uns keiner raucht.

 

Dann: Zeitplan. Wie lange braucht man denn überhaupt dazu, diese verflixte Wiese zu mähen? Gefühlt vier Stunden. Quod erat demonstrandum! Machen wir eine kleine Challenge draus, da hat man auch gleich viel mehr Freude an der Arbeit.

 

Versuchsanordnung: Zu absolvieren sind zwanzig Bahnen à fünfzig Meter mit einer Neigung von dreißig Grad.  

Meine Mutter (und besagter nördlicher Nachbar) schauen zu. Offenbar halten sich beide für eine Art Wertungsrichter, eine Jury, ein grinsendes, schadenfrohes Gremium, das mich demütigen will. Die Sonne scheint. Der Schweiß bricht aus. Mir tut erst der Rücken weh, dann die Knie. Der linke Quadriceps femoris jault schon. Meine Hände verkrampfen. Bahn sechs: trotz Handschuh bildet sich am rechten Daumen eine Blase. Mir ist heiß.  Manche Reihen muss man doppelt mähen, weil das Monstrum von Rasenmäher nicht in der Lage ist, besonders widerspenstige Halme sauber zu cutten. Es gibt unzählige Grassorten. Wir hier haben die robusteste. Erwähnte ich, dass es sich um ein benzinbetriebenes… ach ja. Ich fühle, wie die krebserregenden Gase an meinen Lungenalveolen andocken und erwäge kurz das Mähen mit Maske, aber dann kollabiere ich spätestens auf Bahn zehn. 

 

Nach Bahn 8 bin ich in Versuchung, den Fünfliterkanister über dem Grasfangkorb auszuleeren und das ganze Ding anzustecken. Mit Glück gibt es einen Flächenbrand.

Eine schöne Wohnung in der Stadt, das wär's. Kleiner Balkon vielleicht.  Dachterrasse. Nie mehr einen Rasenmäher anfassen. Ein schöner Tagtraum, der jäh zerstört wird, weil das Höllentier mir just in diesem Moment meine physischen Grenzen bewusst macht: das Problem auf dieser Schräge ist nicht das Laufen (und Schieben), sondern das Wenden (und Zerren). Mir wackeln die Knie.

Bahn 12: Meine Bewegungen werden träge. Die Sonnenbrille rutscht über die schweißfeuchte Nase. Knie zittern. Hände tun weh. Im Kopf herrscht Leere. Und Hitze. Ich hab Durst. Und Überdruss. So fühlen sich Marathonläufer auf der letzten Meile. Ein runner’s high scheint es beim Rasenmähen nicht zu geben. 

 

Zwei Ibuprofen später sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Der Kampf Frau gegen Maschine geht in eine neue Runde.

Bahn 16: Ich denke über Gleichberechtigung nach und darüber, ob es wirklich Sinn ergibt, dass Frauen nicht mehr mit einem zierlichen Sonnenschirm, der den Teint schont, Limonade sippend und fingernägellackierend in hübschen Loungemöbeln auf der Terrasse sitzen, während männliche Bedienstete die Landschaftspflege verrichten, meinetwegen auch gegen Bezahlung. Nach einer Formulierung des Bundesgerichts sind ausgenommen von der Gleichberechtigung einzig die Bereiche, in denen Gleichbehandlung „aus biologischen oder funktionalen Gründen“ absolut ausgeschlossen ist. Das lasse ich jetzt mal so stehen. 

 

Bahn 18: Ich bin kurz vorm Halluzinieren. Die Dämpfe aus dem brüllenden Tier zu meinen Füßen machen mich high. Ich träume vom Verkauf meines Grundstückes, vorzugsweise an einen Unkrautvernichtungsmittelhersteller. Und von betonierten Landschaften. Und was ist eigentlich gegen Parkplätze einzuwenden?

Die Sonne brennt. Ich sollte einen Sonnenhut tragen. Wenigstens eine Basecap; ich sehe eh aus wie Karl Napp, wo ich so in maximaler Schräglage am Hand entlangröchle wie eine alternde Bergziege mit Radantrieb. Apropos Sonne: ein Sonnenkollektorenensemble könnte man hier errichten, halb so groß wie ein Fußballplatz! Oder ein Endlager für Castoren. Dann hätte sich das Mähen für mich erledigt.

Ich mag Natur. Ich mag den Wald. Ich mag Streuobstwiesen, Blümchen und den Englischen Garten in München. Ich mag den Geruch von frischem Grünschnitt. Ich bin entzückt von Häusern mit Landschaftsparks drum herum. Ich finde auch Elefanten außerordentlich schön, aber ich will doch keinen eigenen haben! 

 

Bahn 19: Ich kämpfe nicht gegen das Gras, ich kämpfe mit dem Gartengerät. Es gibt Filme, in denen Maschinen die Weltherrschaft übernehmen. Gruselig. Dieses Teil hasst mich. Ich hasse dieses Ding. Aus uns werden keine Freunde. Mein Bruder nennt das gleiche Modell sein eigen und hat keine Vorbehalte gegen den Trumm. Mein Bruder hat aber auch einen flachen, ebenen Neubaugebietsrasen in der Größe eines durchschnittlichen Sandkastens. Warum jemand Schwierigkeiten mit 40 Kilo Stahl haben könnte, kann er nicht nachvollziehen (den kleinen Bruder des japanischen Sumoringermodells, den mit dem Akku, liebe ich auch nicht gerade, aber ich träume wenigstens nicht davon, ihn heimlich der nächsten Schrottpresse zuzuführen. Schönheit, auch landschaftliche, ist immer mit Aufwand verbunden. Aber doch nicht mit einem Selbstmordattentat in Form von anderthalb Kilometern Rasenmähen!).

 

Die Zeit läuft. Ich muss noch einkaufen und mit den Hunden gehen, von denen mir einer grundsätzlich im Weg liegt. Und was soll eigentlich diese ganze Deko hier? Den Schnickschnack weg- und wieder hinzuräumen bedeutet glatt noch zehn Mal Bücken mehr! In den Städten sieht man jetzt immer häufiger Wildblumenwiesen. Schöne bunte Blumen mit freundlichen Tagpfauenaugen und summenden Hummeln würden mir grundsätzlich mehr zupass kommen als mit überdimensionierten bösartigen Maschinen schnödes Gras abzurupfen. Guerilla gardening wäre der ideale Trend für mich!

 

Bahn 20,5: Geschafft.

Nach hundertfünfundvierzig Minuten und drei Litern Wasser bin ich durch. Außerdem ist der Sprit alle. Auf dem Tacho meiner Smartwatch werden am Abend 16000 Schritte stehen. Die Euphorie über den Sieg schierer Willenskraft hält sich in Grenzen: bin zu müde. Außerdem sind zwei Wochen nicht lang genug, um nachhaltig zu regenerieren. Jedenfalls für mich: auf das Gras trifft das nicht zu; das packt das. Locker. Und leise lachend, vermutlich. 

 

Als sich mein Herzschlag annähernd beruhigt hat und der Puls sich unterhalb der dreistelligen Zahl einpendelt, berechne ich die Hanglage und google „Mähroboter für steiles Gelände“. Leider wird mir als Nächstes klar, dass ich die fünfeinhalbtausend Euro, die der Luxus kostet, auch in diesem Jahr nicht lockermachen kann. Außerdem mangelt es meinem steilen Gelände an Auslaufzone für den Powermower. Die braucht der nämlich. Schade, denn das Allrad-Teil mit seinen Breitreifen sieht aus wie etwas für eine Marsmission. Und hat GPS. Falls es sich auf der großen Fläche verirrt, nehme ich an.* Ich werde also weiterhin selbst mähen. Und bin somit fürderhin die einzige Person im Dorf, die sich über Hitzewellen freut: dürres Gras wächst langsamer.

 

Irrtum: das GPS dient der Diebstahlsverfolgung. Ist bei dem Preis auch ratsam.

 

 

©MegMcGary 07/22

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